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  Paukenmesse 2010
 
Zeitbrunnen - Demetre Gamsachurdia
 
Das Werk "Zeitbrunnen" für 2 Violinen, 2 Celli, gemischten Kammer- und grossen Chor und Orchester
entstand im Sommer 2009 als Auftragswerk des Gymnasiums Leonhard Basel. In zwei Teilen mit den
Namen "Ruinen" und "Prozession" sowie einem kurzen Epilog werden drei Wörter aus unter-
schiedlichen Sprachen und Kulturen verwendet:
"Omianoba" (Georgisch), was soviel wie Kriegszeiten bedeutet.
"Zeitbrunnen" auf Deutsch und
"Amra Agylara" (Abchasisch), das für "Aufgang der Sonne" steht.


"Zeitbrunnen" von Robert Babiak jun.
(Quelle: www.pixelio.de)

Das Werk beleuchtet, genau wie die "Missa in tempore belli" von Haydn, die Themen Frieden in Zeiten
des Krieges, Glauben in Zeiten des Zweifels, Wandelung in Zeiten der Erstarrung, Hoffnung in Zeiten
der Ohnmacht. Allerdings habe ich zu diesen Themen einige andere Zugangspunkte gewählt, die das
Werk bedeutend von Haydns Messe unterscheiden. Während Haydn, um ein Beispiel zu nennen, eine
monumentale, exoterisch-religiöse Befreiungsidee an das Ende des Werkes setzt, habe ich versucht,
einen mehr auf das Innerlich-Musikalische bezogenen Leidens- und Kampfesvorgang in meiner
Komposition dazustellen, wobei dieser Prozess mit einer Frage anstatt einem krönenden Abschluss
zu einem offenen Ende führt. Die mehr oder weniger frei gehandhabte Semantik in "Zeitbrunnen" wird
durch eine Vereinfachung und Reduzierung musikalischer Mittel geformt; trotzdem gibt es keinen
eindeutigen programmatischen Ablauf in der Komposition. Ich bin der Frage nachgegangen, wie man
komplexe Ideengänge mit einfachen Mitteln ausdrücken kann, ohne sie banal werden zu lassen.
Die Komposition ist den Kriegsopfern des Abchasisch-Georgischen Konflikts (1992-1993) gewidmet.
Allerdings ist diese Widmung nur einer der Ausgangspunkte für das Komponieren; von der politischen
Ebene können Ereignisse auf eine unbelastete, absolut-künstlerische Ebene gehoben und dort ver-
wandelt werden, um sie dann mit musikalischen Ideen zu vereinigen.

Aus einer ruinenhaften Ödnis und Zerstörung heraus sucht die Musik in "Zeitbrunnen" immer wieder
nach einem Weg der Beschwörung eines neuen, heilenden Lebensatems, forscht nach Brunnen
atmender Zeit. Es werden Vereisung und Verbrennung, Umklammerung und Aufbruch, gesetzge-
bundene Unausweichlichkeit und dynamische Leidenschaft einander gegenübergestellt. Die Statik
und Strenge der Phrasen und Entwicklungen bilden Kontraste zu einer Gestik und Musikalität, die
immer wieder aus der Unerbittlichkeit gefährlicher Versteinerung auszubrechen versuchen. Die
fokussierte Intensität des ersten Teils (zugeordnet dem Wort: "Omianoba") mit langen, tiefen Tönen,
erweitert sich zu einer geradlinigen Entwicklung mit einer strengen Quartenharmonik, die später in
farbenreichere, modale und polytonale Klangstrukturen übergeht, jedoch am Ende wieder in die Tiefe
der langgezogenen Haltetöne zurückfällt.

Im zweiten Teil (zugeordnet dem Wort: "Zeitbrunnen") droht die Musik sich in langatmige, scheinbar
zeitlose Flächen mit unruhig pulsierenden hohen Streicherflageoletts zu verlieren. Aus einer Ver-
dichtung dieser Flächen heraus bricht ein intensiver Satz mit wachsenden, ineinander verwobenen
Motiven aus, der durch die Instrumentengruppen wandert und am Ende in ein Tutto mündet, das nach
einem letzten Anstieg zu einem a capella-Chorsatz führt, in welchem durch Quint-, Quart- und Terz-
schichtungen leise Anklänge an die altgeorgische Vokalpolyphonie zu finden sind. Noch einmal stürzt
die Musik durch dunkle Haltetöne im Blech und Wirbel im Schlagzeug in die Tiefe einer flüsternd
pulsierenden Schattenwelt. Der an der Versteinerung gescheiterte Drang nach Befreiung wird im
Epilog von einer einzelnen Sängerin mit den Worten: "Amra Agylara" neu heraufbeschworen und
an eine schweigende Unendlichkeit der Fragen gerichtet.

 
Demetre Gamsachurdia

Vom 27.-29. April 2010 wurde die
Leonhardskirche in Basel von den
Klängen der Paukenmesse (J. Haydn)
und des Zeitbrunnens
(D. Gamsachurdia) erfüllt.

Interpretiert wurden diese Werke durch
die Chöre und das Orchester des
Gymnasiums Leonhard. Tänzerinnen
und Tänzer des Gymnasiums setzten
- unter Bezugnahme auf das Kriegs-
thema des Zeitbrunnens - unter der
Leitung von Franz Brodmann die Musik
in choreografische Bewegung um.

 
Inhalte und Links
Screenshots
Tonauszüge
DVD-Ausschnitte
Die Aufnahmecrew
Missa in tempore belli
Joseph Haydn
Zeitbrunnen - Demetre Gamsachurdia
Probenbilder